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Steingut Bremen

2022
3. Preis kooperativer städtebaulicher und freiraumplanerischer Wettbewerb mit Ideenteil
Ausloberin: Steingut Projekt GmbH & Co. KG

Mitarbeit: Magdalena Müller, Franziska Mühlbauer, Michelle Weislmeier

SITUATION JETZT

 

Das Wettbewerbsgebiet ist geprägt von vielen Industriehallen und -gebäuden. Teils architektonisch wertvoll, teils mit spannenden Potentialen für eine städtebauliche Entwicklung - auch über die bereits identifizierten Bestandsgebäude hinaus. Diese heterogene Vielzahl von Gebäuden bedeckt den Großteil des Grundstücks, binden graue Energie und bilden zusammen einen gewachsenen produktiven Organismus. Die wenige unbebaute Fläche ist größtenteils versiegelt. Große Teile der versiegelten Fläche sind nur im Kontext des Gebäudekonglomerats sinnvoll, besonders die Bahnstraße bietet aber Chancen zur Nachnutzung und so graue Energie zu binden.

Der dominierende Grünraum auf dem Grundstück ist die Geestkante mit ihrem ausgeprägten Höhenprofil. Sie bilden eine Art grünen Schutzwall zwischen den sehr unterschiedlichen Nachbarn, ist in ihrem aktuellen Zustand aber weder für die Industriebrache noch die Wohnhäuser gut nutzbar.

Nutzung und Maßstab des Steingut-Grundstücks stehen im starken Kontrast zu seiner Nachbarschaft, die vor allem durch kleinteilige Wohntypen geprägt wird. Lediglich zur Bahntrasse im Norden entstehen durch die Lärmtoleranz beider Nutzungen Synergien. Allerdings schafft die produktive Blase innerhalb der Wohnbebauung ein spannendes Vis-à-vis und zeigt, dass produktive Mischung an diesem Ort nicht nur funktionieren kann, sondern das bereits tut.

 

IDEE

Die Geestkante bleibt als gemeinschaftlicher Grünraum erhalten und wird zu einer gemeinschaftlichen Parklandschaft. Diesem vergrößerten Grünraum steht im Norden die Bahnrandstraße gegenüber, die zur produktiven Kante im Norden wird. Zwischen diesen beiden gegensätzlichen Polen spannen sich vier Mikroquartiere auf, die gemeinsam das neue Steingutquartier bilden. Unterbrochen und getrennt werden sie durch drei "Grüne Finger", in denen die Grüne Geestkante bis an die produktive Bahnkante mäandriert. Jedes Mikroquartier legt den städtebaulichen Fokus auf unterschiedliche Aspekte der produktiven Stadt.  So wird eine thematische, soziale und ökonomische Durchmischung des neuen Steingutquartiers möglich.

Katalysator und Startpunkt dieser Entwicklung wird das "Experimentierfeld", auf dem neben dem Erhalt von möglichst viel Bestand verschiedene Ideen und Ansätze aus den übrigen Mikroquartieren getestet werden können. So können im weiteren Verlauf der Quartiersentwicklung Konzepte geschärft und weiterentwickelt werden.

 

ERSCHLIESSUNG UND VERKEHR

Mit der neuen Ringerschließung schaffen wir eine einfache Anbindung der Quartiere zwischen den im Masterplan definierten Anknüpfungspunkten. An diese sind die Quartiersgaragen angegliedert. Zum Wohnquartier im Westen führt die Fahrradstraße, die in die zentrale Radwegerschließung übergeht. Diese bindet an alle wichtigen sozialen / produktive Einrichtungen unmittelbar an. Im Westen führt der Radweg über den Ideenteil weiter zur Universität. Eine Besonderheit ist sicherlich der „Empfang“ am Eingangsplatz, in dem die barrierefreie Erschließung von der Brücke kommend in ein Gebäude integriert wird, dass das Quartier nach außen repräsentiert. Die Gewerbestraße wird wie gewünscht erhalten und kann auch privat gewidmet werden.

 

FREIRAUM

Der bislang abgrenzende Niveausprung der Geestkante vernetzt bei uns das Quartier mit der Stadt und schafft Ruheorte für Bewohner*innen, Tiere und Pflanzen in der sonst betriebsamen „produktiven Stadt“. Die wichtigsten Anknüpfungspunkte, deren Angebote jeweils den neuen und alten Anwohner*innen offenstehen, sind:

Das grüne Entreé mit sozialen Einrichtungen wie der Kita, der neue Schlittenhügel am Kücksberg, der zu dem großen Spielplatz überleitet, der Abenteuerspielplatz im „Wilden Wäldchen“ an der Schönbecker Allee und natürlich der Eingangsplatz im Osten. Dazwischen wird die Geestkante gezielt gestärkt und schafft als baumüberstandener Saum Ruhe und Distanz für die anschließenden privaten und gemeinschaftlichen Wohn- und Arbeitshöfe.

Aus der Geestkante entwickeln sich die prägenden Freiräume des Quartiers, die grünen Finger. Diese öffentlichen Freiräume gliedern die Teilquartiere, vernetzen mit der Umgebung und bieten attraktive Erholungs- und Spielangebote. Im „wilden Wäldchen“ verzichten wir zu Gunsten des Baumerhalts und auf Grund der Nähe zu den Einfamilienhäusern auf eine Neubebauung und schaffen mit dem Abenteuerspielplatz einen besonderen Anziehungspunkt.

In den einzelnen Teilquartieren sind die drei Plätze die identitätsstiftenden Mittelpunkte. Im „Experimentierfeld“ im Westen die Piazza Ceramica als öffentlicher, frei- und vielfältig bespielbarer Raum, in der Mitte der Quartiersplatz mit der anliegenden Grundschule und im Westen das grüne Entreé, das wie ein autofreier Dorfanger als gemeinschaftlicher Treffpunkt dient.

 

 

REGENWASSERMANAGEMENT & ENERGETISCHE AKTIVIERUNG

Vor allem im westlichen und mittleren Quartier wird eine technisch einfache dezentrale Versickerung des Regenwassers geplant. Die Flächen dafür sind in die vielfältigen wohnungsnahen Freiräume und den Saum entlang der Geestkante eingebettet. Die verkehrsfreien Erschließungsbereiche des mittleren Quartiers werden als wassersensibler Straßenraum mit Tiefbeeten gestaltet. Wo eine dezentrale Versickerung nicht möglich ist, wird das Regenwasser auf Retentionsdächern zurückgehalten und dann zum Teil verdunstet bzw. gedrosselt eingeleitet.

Alle Dächer werden intensiv oder extensiv begrünt, so wird das Mikroklima verbessert und vielfältige Lebensräume geschaffen werden. Das auf den Dächern rückgehaltene Regenwasser, produzierte Energie sowie Wärme werden in Kreisläufe eingespeist, genutzt und wiederverwendet.

ENTWICKLUNGSLUPEN

 

PRODUKTIV IM GRÜNEN

Der westliche Bereich des Quartiers wird passend zu seiner Nachbarschaft wom Wohnen geprägt. Zur Bahn hin durch eine Gewerbeleiste vom Lärm geschützt, entstehen verschiedene Reihenhaustypen, die Arbeiten und Wohnen in unterschiedlichem Maße verbinden. Das Mikroquartier ist autoarm, alle privaten PKWs werden in einer Quartiersgarage untergebracht.

Reihenhäuser

Im Quartiersinnern gibt es dreigeschossige, klassische Reihenhäuser mit eigenem Garten. Dieser Haustyp muss nicht von der Feuerwehr angefahren werden, so wird ein durchgrüntes, autoarmes Quartiersinneres möglich.

Atelierhäuser

Zu öffentlichen und gemeinschaftlichen Räumen orientieren sich Atelierhäuser. Zur nichtprivaten Seite orientiert sich jeweils ein Studio-/Büro-/Atelierraum mit hohen Decken und großflächigen Öffnungen zur Straße hin. Über ein Split Level wird die zum Garten orientierte Wohnküche erreicht, die bei Bedarf Teil des Ateliers werden kann. So kann der Raum an sich verändernde Lebensbedürfnisse angepasst werden.

Upside Down

In Bereichen, in denen große Erdgeschossflächen für Sonderfunktionen wie z.B. die Kita notwendig und deshalb keine ebenerdigen Freiflächen zum Wohnen möglich sind gibt es stattdessen großzügige und besonders hoch überdeckte Dachgärten, die nicht versiegelt, sondern bepflanzt werden. Von dort aus werden die Upside Down-Häuser umgekehrt nach unten organisiert, d. h. oben das Wohn- und darunter die Schlafgeschosse. Erschlossen wird der Typus durch einen gemeinschaftlichen Laubengang, der als zusätzlicher Freiraum zur Verfügung steht.

 

VERTIKAL GEMISCHT

Im mittleren Mikroquartier befinden sich große Teile der sozialen Infrastruktur, zusammen mit mittelgroßen bis kleineren Gewerbeeinheiten. In Kombination mit verschiedenen Nutzungen wie Wohnen, Parken, etc. entstehen vertikal gemischte Gebäude, bei denen die verschiedenen Nutzungen voneinander profitieren. Die einzelnen Gebäude gruppieren sich zu geschlossenen bis halboffenen Blockstrukturen, die sich in Höhe und Ausrichtung zur grünen Geestkante hin öffnen.

Lernen-Wohnen-Produzieren

Sowohl Grundschule als auch Kita benötigen zum einen große Freiflächen, zum anderen viel Raum auf möglichst wenigen Geschossen. Sie verschachteln sich und verbinden zwei städtebauliche Blöcke miteinander. Das auf die Bildungsnutzungen gestapelte Wohnen profitiert zum einen durch die sinnvolle Nutzung der Erdgeschosszone, zum anderen durch die Nutzung von Abwärme. Durch die antizyklische Benutzung der beiden Funktionen kann die auf dem Dach produzierte Energie optimal ausgenutzt werden. Schulnutzungen wie Mensa oder Turnhalle werden in unmittelbarer Nähe so angesiedelt, dass Nutzungssynergien mit dem Quartier und der Nachbarschaft entstehen können.

Produktives Parkhaus

Der heute noch hohe Parkbedarf für private PKWs wird in produktiven Parkhäusern abgedeckt, die zur lauten Bahnseite orientiert sind und direkt von der Quartiersstraße erschlossen werden. - so wird unnötiger Verkehr vermieden. Das Erdgeschoss wird sofort für attraktivere Funktionen genutzt, wie z. B. Gewerbe, Leihstationen für Lastenräder und Paketstationen. Auf den Dächern werden Dachfarmen angelegt, die genossenschaftlich im Quartiersmarkt weiterverteilt werden können. In der Zukunft freiwerdender Platz kann erst für nachhaltigere und geteilte Mobilitätskonzepte und später für neue Wohnformen umgenutzt werden können.                                                   

Altstadthaus

Wie in klassischen Stadtkernen finden im Erdgeschoss gewerbliche Funktionen Platz, in den Obergeschossen wird gewohnt. Auch hier können die beiden unterschiedlichen Nutzungen von geteilter Infrastruktur profitieren.

 

 

EXPERIMENTIERFELD

Neben den bereits identifizierten architektonisch wertvollen Backsteinbauten besteht der Bestandskomplex aus vielen unterschiedlichen Hallen mit teils großem städtebaulichem Potential. Als erster Katalysator für die weitere Entwicklung wird deshalb (abhängig vom Zustand der einzelnen Bauten) ein möglichst großer Teil dieser Hallen erhalten, um- und zwischengenutzt. Das entstehende Mikroquartier kann unabhängig vom restlichen Quartier von Süden erschlossen werden und so zum Startpunkt des neuen Steingutquartiers werden. Die neuen Nutzungen im Bestand verstehen sich als Experiment, d.h. Konzepte und Bausubstanz können immer wieder evaluiert, weiterentwickelt und verändert werden und bilden so den thematischen Kern und kreativen Motor der weiteren Quartiersentwicklung.

Wohnen im Bestand

Bestandsgebäude, die sich durch ihre Geschossigkeit, Struktur und Orientierung (z.B. zur ruhigen Grünfläche im Süden) dafür anbieten, können als Wohngebäude umgenutzt werden. Durch ihre Zugehörigkeit zum Bestandskonglomerat entstehen besondere Herausforderungen wie Belichtung, Lärm- und Brandschutz, denen durch neue, gemeinschaftliche und temporäre Wohnformen begegnet werden kann.

Arbeiten im Bestand

Die großen, offenen Hallenstrukturen der Norddeutschen Steingut bieten Raum für vielfältige Produktivität (Künstler, Handwerker, Start Ups, Coworking...), aber auch die Vermittlung von Wissen, Historie des Ortes und handwerklichem Können. Durch die großen Spannweiten und hohen Decken der ehem. Industriehallen kann auf unterschiedliche Flächenbedarfe reagiert werden und Räume auch nachträglich neugestaltet werden.

Punktuell Nachverdichten

Die gewachsene Bestandstruktur lässt Räume frei, die im neuen städtebaulichen Kontext nicht mehr sinnvoll sind. An diesen Stellen wird punktuell nachverdichtet. In den entstehenden Neubauten kann schnell relevanter Wohnraum geschaffen und einzelne Konzepte aus den übrigen Mikroquartieren getestet werden, wie z. B. Dachfarmen, Kreislaufsysteme und Synergien zwischen Wohnen und Produktion.

 

PRODUKTIVHUB

Im östlichen Teil des Steingut-Quartiers werden vor allem produktive Nutzungen untergebracht. Hier entsteht der urbane Auftakt zum Quartier in Form des Eingangsplatzes und dem Kopfgebäude. Fahrradfahrer, PKW, LKW und Quartiersbus erreichen diesen über eine Rampe, über einen öffentlichen Aufzug können der S-Bahn-Halt und das Quartier barrierefrei erreicht werden. Die hauptsächlich störenden Gewerbenutzungen werden mit Wohnnutzungen kombiniert, die von der lärmresistenten Nachbarschaft profitieren, wie z.B. ein Studentenwohnheim oder Boarding House. Anders als die übrigen Mikroquartiere wird der gesamte Produktionshub von PKW und LKW befahren.

Vertikale Fabrik

In der vertikalen Fabrik werden die verschiedenen Design- Produktions- und Verkaufsschritte in einem Gebäude kombiniert. Besonders junge Unternehmen können vom geringeren Grundstücksbedarf und der Integration in einen urbanen, gut angebundenen Kontext. Die in der Produktion entstehende überschüssige Wärme wird erst in den Bürogeschossen, anschließend in Dachfarmen genutzt.

Urbane Landwirtschaft

Die ohnehin höheren Anforderungen an Konstruktion und Tragfähigkeit der vertikalen Fabrik ermöglichen Dachfarmen. die überschüssige Wärmeenergie kann optimal genutzt werden, die intensive Begrünung verbessert das Mikroklima. Die knappe Ressource Boden wird optimal ausgenutzt und der Begriff der produktiven Stadt um einen wichtigen Punkt erweitert. Die Ernte der Dachfarmen kann über genossenschaftliche Strukturen an Angestellte und Nachbarn weitergegeben oder in Kantinen und Restaurants direkt weiterverarbeitet werden.

Handwerkerhöfe

Temporäte Wohnformen wie Studentenwohnen oder Boarding House teilen sich zusammen mit Handwerkern und Denkern gemeinsame Höfe. Beide Nachbarn profitieren von der lärmresistenten Umgebung und den großen, vielfältig nutzbaren Innenhöfen. Gemeinsame Infrastruktur kann durch die antizyklische Nutzung ressourcenschonend ausgenutzt werden.

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